Archiv der Familie Tschudi
Titel
Archiv der Familie Tschudi
Signatur
PA 1098
Stufe
Fonds
Entstehungszeitraum
1870-2021
Rechtsstatus
Depositum
Provenienz
Tschudi Familie
Verwaltungsgeschichte/Biografische Angaben
Allgemeines
Die Familie Tschudi ist ursprünglich im Kanton Glarus beheimatet.
Nikolaus Tschudi (1844-1931) kam in Schwanden (Glarus) zur Welt. Nach Abschluss der Primarschule begann er eine Lehre als Schmied, die er im dritten Lehrjahr aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. Er zog darauf mit seinen Eltern in den Hinterthurgau nach Dussnang, wo sein Vater einen kleinen Bauernhof gekauft hatte. 1865 heiratete Nikolaus Tschudi Anna Thalmann (1941-1918), mit der er 14 Kinder hatte. Der Landwirt bewies seine poetische Ader in unzähligen Gedichten, die er teilweise veröffentlichte.
Robert Tschudi (1876-1953) war ein Sohn von Nikolaus und Anna Tschudi-Thalmann. Als Primarlehrer arbeitete er an der Waisenhausschule der Stadt St. Gallen, bevor er nach Basel kam. Dort unterrichtete er 1901-1938 an der Mädchenrealschule Basel und lernte seine zukünftige Frau Emma Nufer (1884-1952), ebenfalls Lehrerin, kennen. Der Sozialdemokrat war Verfasser einiger sozialpädagogischer Schriften und bekleidete verschiedene öffentliche Ämter, u. a. Präsident der Schulsynode 1922-1925, Mitglied des Grossen Rates 1920-1940 und ab 1926 Mitglied des Zivilgerichts. 1913 erlangte er das Basler Bürgerrecht.
Anna Barbara Zwingli (1921-2008) wurde in Elgg (ZH) geboren und war die Tochter und das einzige Kind von Heinrich und Sophie Zwingli-Tschudi. Sophie Zwingli-Tschudi war die Schwester von Robert Tschudi und die Tochter von Nikolaus Tschudi. Auf Wunsch ihrer Eltern besuchte Anna Barbara Zwingli die Handelsschule am Technikum Winterthur. Während dem Krieg begann sie zuerst bei einer Zweigstelle des Roten Kreuzes in Winterthur, anschliessend bei der Brauerei Haldengut zu arbeiten. Später nahm sie eine kaufmännische Stelle im damaligen Schwesternhaus des Roten Kreuzes in Zürich an und wurde bald zur Verwaltungsdirektorin dieses Spitals berufen. Das Krankenhaus war eines der renommiertesten Privatspitäler in der Region Zürich. Sie blieb ledig und wurde 1983 pensioniert. 1996 erlitt sie einen Hirnschlag, der zu dauernder Invalidität führte. Das Alters- und Pflegheim Zumipark war ihr letztes Zuhause.
Laurent Tschudi (1925-2021) [auch: Lorenz Tschudi] kam am 13. September 1925 in Neuchâtel als Sohn von Rudolf Tschudi und Elisabeth Tschudi-Jaques zur Welt. Der Cousin von Hans Peter und Felix Tschudi wuchs zusammen mit der vier Jahre älteren Schwester Madeleine in Basel auf. Nach dem Besuch des Humanistischen Gymnasiums studierte er Wirtschaftswissenschaften an der Universität Basel mit den Schwerpunkten Politologie und Soziologie. Sein Studium schloss er 1952 mit einer Dissertation bei Prof. Edgar Salin ab («Kritische Grundlegung der Idee der direkten Rätedemikratie im Marxismus»). Nach vielen Jahren in der Direktion der Kiosk AG nahm er 1979 das Studium der Psychologie auf und arbeitete ab 1982 als analytischer Psychologe, zuletzt als analytischer Psychotherapeut mit eigener Praxis in der Matte in Bern. Laurent Tschudi verstarb am 10. April 2021 in Burgdorf. Er war von 1949 bis zu deren Tod 2002 mit Marcelle Porchet und ab 2011 mit Annalis Müller verheiratet.
Bundesrat Hans Peter Tschudi (1913-2002) und Irma Tschudi-Steiner (1912-2003)
Hans Peter Tschudi (1913-2002) war der Sohn von Robert und Emmy Tschudi-Nufer. Nach Schulen in Basel und Studium in Basel und Paris promovierte er 1936 zum Doktor der Rechte. 1938 wurde er zum Vorsteher des Gewerbeinspektorats gewählt. Weiterhin pflegte er seine akademische Laufbahn, habilitierte sich und wurde 1952 zum Professor für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht an der Universität Basel ernannt. Im gleichen Jahr heiratete er Irma Steiner (1912-2003).
Als Mitglied der Sozialdemokratischen Partei führte Hans Peter Tschudis politische Karriere vom Grossen Rat (1944-1953) 1953 zunächst in den Regierungsrat. Er stand dem Departement des Innern vor und setzte sich für den Ausbau der Sozialfürsorge und des Arbeitnehmerschutzes ein. 1956-1959 vertrat er den Kanton Basel-Stadt im Ständerat. 1960-1973 war er Bundesrat und stand dem Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) vor. Unter seiner Führung konnte die AHV erheblich ausgebaut werden, weshalb er auch gerne als "Vater der AHV" bezeichnet wird. Ausserdem waren der Umweltschutz, die Kultur- und Hochschulförderung, die Übernahme der ETH Lausanne durch den Bund und die Festlegung des Nationalstrassennetzes Schwerpunkte seiner Amtszeit. 1965 und 1970 war er Bundespräsident.
Nach seinem Rücktritt 1973 nahm er seine Lehrtätigkeit an den Universitäten Basel und Bern wieder auf und widmete sich weiteren Aufgaben (Präsident der Abgeordnetenversammlung der Pro Senectute 1967-1992, Präsident des Forum Helveticum 1975-1987 und Präsident des Freundevereins Zoo Basel 1975-1992).
Irma Tschudi-Steiner (1912-2003) studierte Pharmazie an den Universitäten Bern und Basel, wo sie 1938 den Doktortitel für Pharmazie erhielt. Anschliessend trat sie in Basel eine Assistenzstelle am Institut für Pharmazie an und studierte gleichzeitig an der medizinischen Fakultät. 1949 schloss sie ihr zweites Studium mit dem Doktortitel ab. Als erste Frau in der Geschichte der Universität Basel habilitierte sie sich 1950 an der philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät. 1954 erhielt sie einen Lehrauftrag für pharmazeutische Spezialgebiete. Nach dem durch die Wahl ihres Mannes Hans Peter Tschudi zum Bundesrat bedingten Umzug nach Bern war sie dort an der hiesigen Universität tätig. 1969 wurde sie von der medizinischen Fakultät in Bern zur ausserordentlichen Professorin berufen. Mit der Rückkehr nach Basel nahm sie zusätzlich an ursprünglicher Stätte ihre Lehrtätigkeit wieder auf. 1986 erhielt sie die Ehrenmitgliedschaft des Schweizerischen Apothekerverbands.
Pfarrer Felix Tschudi (1917-2010) und Gertrud Tschudi-Grünig (1919-2009)
Felix Tschudi (1917-2010) ist der Sohn von Robert und Emma Tschudi-Nufer und der Bruder von Bundesrat Hans-Peter Tschudi. Er wuchs in Basel auf. Nach Gymnasium, Geschichtsstudium und Studium der romanischen Sprachen, entschied er sich für ein Theologiestudium.
Seine erste pfarramtliche Tätigkeit übte er in der Ostschweiz aus. 1946 heiratete er Gertrud Grünig. 1959 wurde er an die Petersgemeinde in Basel berufen, später wechselte er in die Johannes-Gemeinde. Während vier Jahren war er Kirchenrat der Reformierten Kirche. 1971 wurde ihm das erste und neu geschaffene Pfarramt für Industrie und Wirtschaft übertragen. Aufgrund seines Erfahrungsschatzes vermochte er zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu vermitteln.
Neben seiner Arbeit als Pfarrer war Felix Tschudi jahrelang in verschiedenen Vereinen tätig. Er war Präsident der sozialen Studienkommission des Schweizer Pfarrvereins, der Kommission für soziale Fragen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes und der Bibelgesellschaft. Er war Mitglied der Ökumenischen Genossenschaft Rezession (OeKGR) / Overall (Ehrenmitglied), der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft "Kirche und Industrie", dem Verein "Christ und Welt" und einer Studentenverbindung.
1982 ging Felix Tschudi in Pension, blieb aber weiterhin engagiert in der Kirche. Er publizierte weiter, wie er es schon während seiner ganzen Karriere getan hatte viele Artikel, Broschüren und Bücher und hielt Referate und Vorträge.
Gertrud Tschudi-Grünig (1919-2009) kam in Biel (BE) zur Welt, wo sie bis zu ihrer Heirat mit Felix Tschudi 1946 lebte. In Biel schloss sie eine höhere Handelsschule ab, arbeitete an verschiedenen Orten und engagierte sich stets in der Kirchgemeinde. Nach der Heirat zogen sie und ihr Mann nach Buchs und später nach Rorschach in die Ostschweiz. Sie bekam drei Kinder, war Mutter und Hausfrau und arbeitete auch nach dem Umzug nach Basel immer im Dienste der Kirche und an der Seite ihres Mannes. Gertrud Tschudi-Grünig verstarb am 11. Oktober 2009.
Prof. Dr.med. Peter Tschudi-Steinmann (1948-)
Der 1948 geborene Arzt Peter Tschudi-Steinmann, Sohn von Felix und Gertrud Tschudi-Grünig, hat sich in Basel einen Namen als sozial engagierter Hausarzt gemacht. Nach seiner Assistenzarztzeit in Davos eröffnete er 1982 zusammen mit seinem Kollegen Christian Ott die Praxis Hammer am Bläsiring. Das Führen einer Gruppenpraxis war damals neuartig und nicht zufällig wählten Tschudi und Ott hierfür einen Standort im Kleinbasel.
Aufgrund der in seiner Praxis gesammelten Erfahrungen wirkte Tschudi massgeblich in Präventions- und Unterstützungsprogrammen in den Bereichen Drogen und Aids mit; erwähnt seien sein Engagement im Fixerstübli, im Gassenzimmer oder im Projekt Momo des Kinderspitals, welches Hilfe für Kinder und Familien von HIV-Infizierten leistet. Darüber hinaus wirkte Tschudi auch im Verein Sanierungshilfe mit.
Auf der politischen Ebene gehörte Peter Tschudi zu den federführenden Promotoren der Volksinitiative „Ja zur Hausarztmedizin“, welche im April 2010 eingereicht und im September 2013 zugunsten eines direkten Gegenvorschlags zurückgezogen wurde. Mit einem Stimmenanteil von 88 % JA hat die Schweiz am 18. Mai 2014 dem von Bund, Kantonen und Parlament vorgeschlagenen Verfassungsartikel über die medizinische Grundversorgung klar zugestimmt.
2006 wurde Peter Tschudi an der Universität Basel habilitiert, 2007 wurde ihm die erste Professur für klinische Hausarztmedizin in der Schweiz anvertraut. Als Titularprofessor baute er das Institut für Hausarztmedizin an der Universität Basel auf. Tschudi war auch die treibende Kraft bei der Einrichtung des Einzel-Tutoriats, das Medizinstudenten über zwei Jahre ein 1:1-Training in einer Arztpraxis ermöglicht.
Dr.iur. Hans Martin Tschudi-Denzler (1951-)
Der 1951 geborene Jurist Hans Martin Tschudi-Denzler, dritter Sohn von Felix und Gertrud Tschudi-Grünig, machte wie zuvor sein Onkel Hans-Peter Tschudi eine politische Karriere. Von 1994 bis 2005 war er für die Demokratisch-Soziale Partei (DSP) Mitglied des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt, wo er dem Justizdepartement vorstand. In seine Amtszeit fiel die Totalrevision der Kantonsverfassung.
Nach der Matura 1970 am Humanistischen Gymnasium Basel studierte Tschudi von 1970 bis 1975 Rechtswissenschaft an der Universität Basel (Promotion 1979). Von 1975 bis 1981 absolvierte er diverse Praktika unter anderem bei der Sandoz AG, der Schweizer Mustermesse und in der Kantonalen Verwaltung. 1981 wurde Hans Martin Tschudi von Regierungsrat Edmund Wyss (1916-2002) zum Departementssekretär des Wirtschafts- und Sozialdepartements (WSD) ernannt; diese Stellung übte Tschudi bis zu seiner Wahl in den Regierungsrat 1994 aus.
1980 wurde Hans Martin Tschudi für die Sozialdemokratische Partei (SP) in den Grossen Rat gewählt, er legte dieses Amt allerdings nieder, als er Departementssekretär des WSD wurde. Nachdem die Polizeieinsätze bei Hausbesetzungen und Demonstrationen für ein Autonomes Jugendzentrum, die der damalige SP-Regierungsrat Karl Schnyder (1931-2016) zu verantworten hatte, innerhalb der Partei heftig kritisiert worden waren, kam es 1981 zu einer Spaltung der Grossratsfraktion: 15 der 37 SP-Grossräte stellten sich hinter Schnyder und bildeten eine neue, eigene Fraktion unter der Bezeichnung Aktionsgemeinschaft Sozialdemokraten und Gewerkschafter (ASG). Daraus entstand 1982 die Demokratisch-Soziale Partei (DSP). Rund 200 Gewerkschafter und/oder SP-Mitglieder traten in die neue Partei ein, unter ihnen Hans Martin Tschudi sowie die Regierungsräte Karl Schnyder und Edmund Wyss.
1994 wurde Tschudi nach dem Rücktritt von Regierungsrat Schnyder in den Regierungsrat gewählt, wo er das Justizdepartement übernahm. Als Regierungsrat war er 1998 bis 2005 Leiter der Schweizer Delegation in der D-F-CH Oberrheinkonferenz und deren Präsident in den Jahren 1999, 2001 und 2004. Dazu war er 2000 bis 2005 Mitglied der Schweizer Delegation im Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates, Strasbourg.
Bei den Gesamterneuerungswahlen 2004 wurde Tschudi im 1. Wahlgang nicht bestätigt. Er trat daraufhin nicht mehr zum 2. Wahlgang an und verliess die Regierung mit dem Ende der Legislatur im Frühjahr 2005.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Regierungsrat übernahm Hans Martin Tschudi zunächst die Leitung des regionalen Personenverkehrs der Nordwestschweiz bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Von 2006 bis September 2018 war Tschudi Partner einer Anwaltskanzlei, im September 2018 gründete er ein eigenes Beratungsunternehmen. Zudem wirkt Tschudi seit 2006 als Präsident des Sinfonieorchesters Collegium Musicum Basel sowie von 1984 bis 1995 und neu ab 2019 als Mitglied der Synode der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt (von 1990 bis 1993 Synodepräsident).
Form und Inhalt
Die Unterlagen dokumentieren Leben und Wirken einzelner Familienmitglieder.
Schutzfristkategorie
Ordentliche Schutzfrist
Bewilligung
Gemäss Archivgesetz BS
Schutzfrist
Zeitraumende
Schutzfristdauer
30
Ende der Schutzfrist
12/31/2051
Zugänglichkeit
Oeffentlich
Zugangsbestimmungen
Es gelten die allgemeinen Benutzungsbestimmungen des Staatsarchivs Basel-Stadt.
Physische Benutzbarkeit
uneingeschränkt
Veröffentlichungen
Vom Glarnerland ans Rheinknie. Robert Tschudi und seine Familie seit 1898 in Basel. Hg. v. Hans Martin Tschudi, Basel 2017 [Kleinauflage im Eigenverlag]
Verwandtes Material
Schweizerisches Bundesarchiv: Handakten Bundesrat Tschudi Hans Peter; Nachlass Hans Peter Tschudi