Sozialdemokratische Partei Basel-Stadt
Title
Sozialdemokratische Partei Basel-Stadt
Reference Code / Identification number
PA 716
Stage
Fonds
Period of origin
1844-2016
Legal status
Depositum
Verwaltungsgeschichte/Biografische Angaben
In Basel setzte die Industrialisierung in den dreissiger Jahren des 19. Jahrhunderts ein. Sie veränderte die Bevölkerungsstruktur, Fabrikarbeiter, Handwerksgesellen, Tagelöhner und Arbeiterinnen kamen in die prosperierende Stadt. Die Zuwanderer liessen die Einwohnerzahlen und den Prozentsatz der Arbeiterschaft in die Höhe schnellen. Die meisten gehörten zur sozialen Unterschicht, bei der sich aufgrund prekärer Arbeits- und Lebensverhältnissen ein zunehmendes Klassenbewusstsein entwickelte, das 1868/1869 einen Ausdruck im ‚ersten Klassenkampf in Basel‘ (Wilfried Haeberli) fand. Die frühesten Impulse einer Emanzipationsbewegung der Arbeiterschaft gingen in Basel auf die Handwerkervereinen zurück, die ab den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts von Organisationen der Fabrikarbeiter wie dem Deutschen Arbeiterverein oder dem Grütliverein abgelöst wurden.
Nach der Gründung der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SPS) 1870 entstanden auch in Basel verschiedene sozialdemokratische Vereine, die erst Eugen Wullschleger (1862–1931) zu einen vermochte. Unter seinem Vorsitz wurde am 26. Juni 1890 die Sozialdemokratische Partei Basel ins Leben gerufen, deren Statuten auch Frauen die Möglichkeit zur Mitgliedschaft bot. Wullschleger, der ‚führende Kopf der Basler Arbeiterbewegung‘ (Bernard Degen), wurde 1886 erster sozialdemokratischer Grossrat Basels. 1896 erfolgte seine Wahl zum Nationalrat, 1902 die zum Basler Regierungsrat, als welcher er Sozialgesetzte, die Arbeitslose und Kranke absicherten, auf den Weg brachte. Die Sozialdemokraten errangen 1899 zwölf Grossratsmandate und avancierten zu einer politisch relevanten Kraft, die bis zu den Grossratswahlen 1920, in denen sie eine Mehrheit erringen konnte, beständig zunahm.
Bereits ein Jahr später spaltete sich jedoch in der Schweiz die Arbeiterbewegung. Flügelkämpfe, die sich an der Frage entzündeten, ob die SP der Kommunistischen Internationalen beitreten solle, führten zum Austritt der ‚Jungkommunisten‘ aus der SP.Sie schlossen sich mit den ‚Altkommunisten‘ zur Kommunistischen Partei der Schweiz (KPS) zusammen. In Basel wandte sich die Hälfte der Wählerschaft der neuen Partei zu. Auch die Hälfte der Parteikasse, das Parteiorgan Vorwärts und zwei der drei Nationalratsmandate nahm sie mit sich. Die SP Basel-Stadt wurde dadurch ‚vor allem eine Partei des Staatspersonals‘ (Charles Stirnimann), in deren Reihen wenige Industriearbeiter vertreten waren. Kommunisten und Sozialdemokraten schwächten sich in der Folgezeit gegenseitig durch erbitterten Kampf.
Der Wahlsieg der Basler Sozialdemokraten 1935 ist in der jüngeren Basler Politikgeschichte ein Wendepunkt, der die Ära des bis 1950 währenden ‚Roten Basel‘ einläutete. Sowohl in den Regierungsratswahlen als auch in den Grossratswahlen errangen sie eine Mehrheit. Schützenhilfe kam von der KPS. Sie hatte sich durchgerungen, ihre Stimmen den Regierungsratskandidaten der SP zu geben, anstatt ungültig zu wählen. In der Regierungsperiode ab 1935 handelten die sozialdemokratischen Mandatsträger pragmatisch und bemühten sich um konstruktive Zusammenarbeit über die politischen Lager hinaus. Ziel war es, die bereits erreichten sozialen Errungenschaften zu verteidigen und den Herausforderungen der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs zu begegnen. Zur Arbeitsbeschaffung wurde 1936 der Arbeitsrappen – eine einprozentige Sondersteuer, die ab 1937 von zusätzlichen Vermögensabgaben ergänzt wurde – eingeführt, den der Stadtstaat nutzte, um der schwächelnden Baubranche durch öffentliche Aufträge unter die Arme zu greifen. Auch die Schaffung einer ersten kantonalen AHV und des ersten Gesamtarbeitsvertrags in der schweizerischen Exportindustrie (Chemie) fällt in die Regierungszeit der sozialdemokratischen Mehrheit. Zum nationalsozialistischen Deutschland unterhielt der Halbkanton angespannte Beziehungen. 1938 verlangte eine Initiative der SP das Verbot aller NS-Organisationen im Kanton, de blockierte der Bundesrat, das Bundesgericht stützte ihn dabei. Auch in Flüchtlingsfragen zeigte sich Basel-Stadt während des Zweiten Weltkriegs liberaler als die Bundeshauptstadt.
Die Nachkriegszeit, die Charles Stirnimann zufolge in der Schweiz bereits 1943 begann, setzte dem sozialen und politischen Burgfrieden ein Ende. Die heterogene Parteilinke der SP Basel-Stadt – junge Sozialisten, politisch engagierte Intellektuelle, aktive Frauen und kämpferische Gewerkschafter – begann sich im Frühjahr 1943 zu einer eigenen Fraktion zu formieren. Sie schlossen sich schliesslich der Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) an, die von Parteilosen und Mitgliedern der seit 1940 verbotenen KPS 1944 gegründet wurde. In den kantonalen Erneuerungswahlen desselben Jahres konnte die PdA in Basel einen Achtungserfolg von 12 Prozent erzielen, in den darauffolgenden Wahlen 1947 das Ergebnis gar verdoppelte. Zwei Prozentpunkte hinter der SP, deren Resultate drastisch einbrachen, wurde die PdA zur zweitstärksten politischen Kraft. Die SP Basel-Stadt steckte in ihrer grössten Krise seit den frühen 1920er. Sie setzte sich als staatstragende Partei zu Beginn des Kalten Krieges und der ‚Kominformisierung‘ der PdA 1948/1949 bewusst von ihrer Konkurrentin ab, die verfemt als moskauhörige ‚fünfte Kolonne’ politisch marginalisiert wurde. Das Ausscheiden des Regierungsrats Carl Mivilles (1891–1981) – vormals SP, später PdA – besiegelte schliesslich 1950 das Ende des Roten Basel.
Zwischen 1950 bis 1980 etablierte sich die Basler ‚Zauberformal‘, während der einer bürgerlichen Mehrheit drei SP-Vertreter gegenüberstanden. Dem Basler Sozialdemokrat Hans Peter Tschudi (1913–2002) gelang 1959 die Wahl zum Bundesrat, wo er bis 1973 den Ausbau des schweizerischen Sozialstaates erfolgreich vorantrieb. Gleichwohl befand sich die baselstädtische Sozialdemokratie in den 1960er Jahren in einer problematischen Lage: Als Teil des etablierten Systems gingen von ihr keine Erneuerungsimpulse mehr aus und sie wurde von Wahl zu Wahl im Grossen Rat schwächer. Neue linke Parteien wie die Progressiven Organisationen Basel (POB) entstanden und zugen Wäler/innen an sich. Erst in den 1980er Jahren kam es zwischen SP Basel-Stadt und POB zu Annäherungen, nachdem letztere von der marxistisch-leninistischen Doktrin abgerückt waren.
Erneut spaltete sich die SP Basel-Stadt in den 1980ern. Der rechte Parteiflügel, den altgediente Gewerkschafter bildeten, scharte sich um den 1981 ausgetretenen Regierungsrat Karl Schnyder, der aufgrund von Polizeieinsätzen parteiintern unter Beschuss geraten war.Sie gründeten im Sommer 1982 die Demokratisch-Soziale Partei (DSP), wodurch die SP Basel-Stadt kurzfristig sämtliche Regierungsratsmandate einbüsste. Sie verlor rund die Hälfte der Mitglieder der Grossratsfraktion und benötigte lange, um sich von dem Aderlass zu erholen. Erst 1996 erreichte sie wieder den Wähleranteil, auf den sie vor 1980 zählen durfte. Auch wurde der dritte Regierungsratssitz, der traditionell von der SP besetzt wurde, bis 2004 von einem DSP-Regierungsrat gehalten, der mithilfe der bürgerlichen Stimmen gewählt wurde. Zudem verlor die SP Basel-Stadt schneller als die sozialdemokratischen Parteien anderer Kantone den Charakter einer Arbeiterpartei, da sich viele Gewerkschafter der DSP zugewandt hatten. Neben aller Schwächung bedeutete der Umbruch für die Partei aber auch eine Chance: Sie konnte sich modernisieren. Neue von der 68er-Bewegung beeinflusste Personen und Themen wie der Umweltschutz, die Friedensbewegung oder die Emanzipation der Frau erhielten in der Partei Relevanz. Die SP Basel-Stadt wandelte sich zu einer Partei der gebildeten neuen Mittelschicht.
Eine erneute sozialdemokratische Mehrheit in der Regierung konnte die SP Basel-Stadt 2004 erringen. Bei den kantonalen Gesamterneuerungswahlen erreichte sie das beste Wahlergebnis seit 1944 und steigerte ihren Wähleranteil von 26 auf 33 Prozent. Auch bei den Regierungsratswahlen gelang ein historischer Durchbruch, da die bürgerlichen Parteien die Regierungsmehrheit verloren, die sie seit 1950 gehalten hatten. Seit 2004 ist Basel-Stadt der einzige mehrheitlich links regierte Kanton in der Schweiz.
Ordentliche Schutzfrist
Gemäss Archivgesetz BS
Zeitraumende
30
12/31/2046
Oeffentlich
Es gelten die allgemeinen Benutzungsbestimmungen des Staatsarchivs Basel-Stadt.
uneingeschränkt
Veröffentlichungen
- Haeberli Willfried: Die Geschichte der BaslerArbeiterbewegung von den Anfängen bis 1914, 2 Bde, 164. und 165. Neujahrsblatt Basel 1986/1987
- Bolliger Markus: Die Basler Arbeiterbewegung im Zeitalter des Ersten Weltkrieges und der Spaltung der Sozialdemokratischen Partei. Ein Beitrag zur schweizerischen Arbeiterbewegung. Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 117, Basel 1970
- Gerster Willi: Die Basler Arbeiterbewegung zur Zeit der Totalkonfrontation zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten (1927-1932), Basel 1980.
- Stirnimann Charles: Die ersten Jahre des "Roten Basel" 1935-1938. Zielsetzungen und Handlungsspielräume sozialdemokratischer Regierungspolitik im Spannungsfeld von bürgerlicher Opposition und linker Kritik, Quellen und Forschungen zur Basler Geschichte 13, Basel 1988.
- Stirnimann Charles: Der Weg in die Nachkriegszeit 1943-1948: Ein Beitrag zur politischen Sozialgeschichte des "Roten Basel", Basel 1992.
- Degen Bernard: Das Basel der andern. Geschichte der Basler Gewerkschaftsbewegung. Hg. vom Basler Gewerkschaftsbund anlässlich seines hundertjährigen Bestehens, Basel 1986
- Huber Peter: Kommunisten und Sozialdemokraten in der Schweiz 1918-1935. Der Streit um die Einheitsfront in der Zürcher und Basler Arbeiterschaft. Zrüich 1986.
- Verein Geschichte der Basler Sozialdemokratie (Hg.): 125 Jahre Basler Sozialdemokratie. Ein Lesebuch, Basel 2016.
Verwandtes Material
Verschiedene Bestände (z.B. SP Schweiz) des Schweizerischen Sozialarchivs in Zürich